Schoedels Villa
(mit Verweis auf die Textilstadt Münchberg und August Horch)

Die Villa der Fabrikantenfamilie Schoedel und die gegenüberliegenden Gebäude der ehemaligen Textilfirma Friedrich Schoedel (gegründet 1885, geschlossen 2008) erinnern noch sichtbar an die Textilstadt Münchberg. Die Schoedels Villa hat auch noch eine weitere geschichtliche Vergangenheit: Nach seiner Flucht aus Sachsen 1945 wohnte hier der Autopionier August Horch bis zu seinem Tod 1951.Villa (links vorne) und Fabrik der Firma Schoedel

 

Schlechte geologische Voraussetzungen für die Landwirtschaft zwangen viele Bewohner unserer Gegend sich mit Handweberei ihr karges Einkommen aufzubessern. Dadurch hatte sich bereits im ausgehenden 14. Jahrhundert die Leinenweberei zu einem sehr wichtigen Erwerbszweig entwickelt. Nach der gezielten Ansiedlung der Barchentweberei (Baumwoll-Leinen-Mischung), die sich ab 1434 hier in Münchberg nachweisen lässt, konnte sich unser Raum zu einem bedeutenden oberfränkischen Industriezentrum entwickeln.

HauswebereiWährend der strengen Winter verarbeiteten Bauern für den Hausgebrauch den selbst angebauten Flachs und die Wolle der heimischen Schafe. Später entwickelte sich die Hausweberei zum eigenen Handwerk und Beruf. Um 1752 gab es in Münchberg von 160 Handwerksleuten 30 Weber, 4 Färber, 2 Tuchmacher, 13 Schneider, 5 Strumpfwirker und 2 Zeuchmacher. Ende des 18. Jahrhunderts wurden in der Stadt 1.647 Arbeiter und 133 Webstühle für die oberfränkische Baumwollweberei gezählt.
Mit dem Anschluss an die Ludwig-Süd-Nord-Bahn zwischen Lindau und Hof 1848 ergaben sich neue Handelsperspektiven für die Münchberger Firmen. 1947 existierten in Münchberg 36 Textilbetriebe. Schließlich waren 1955 rund 4.000 Menschen in der Textilbranche beschäftigt und es liefen 2.500 Webstühle.

Bis ins 20. Jahrhundert bildeten das Textilgewerbe und die Bierbrauerei den wirtschaftlichen Schwerpunkt in Münchberg.

Um 1840 konzentrierte sich ein Drittel aller in Oberfranken laufenden Webstühle im hiesigen Raum. Mit einer verbesserten Ausbildung der Fachkräfte in der 1854 in Münchberg gegründeten Weberschule versuchten die oberfränkischen Weber der Konkurrenz aus dem bereits hochindustrialisierten Sachsen zu begegnen.

 

Die Anfänge der Industrialisierung findet man mit der ältesten Münchberger Textilfabrik Johann Simon Fleißner. Bereits ab 1812 arbeitete dieser älteste Münchberger Textilbetrieb mit großem Erfolg. Die Firma vergab zunächst Aufträge an die vielen Hausweber der Region. Im ehemaligen Getreidespeicher am Ortsausgang in Richtung Helmbrechts wurde um 1860 eine Weberei eingerichtet. Das noch vor dem 1. Weltkrieg entwickelte „Wiener Linon“ wurde der Exportschlager der Firma in viele Länder der Erde. Wirtschaftliche Schwierigkeiten führten 1984 das Ende der Firmentätigkeit herbei. 1992 wurde der alte Kornspeicher abgerissen. Die restlichen noch vorhandenen Firmengebäude und der Schlot der Fabrik wurden 2004 abgebrochen. Heute (2014) befindet sich an dieser Stelle der Lebensmittel-Discounter Norma.Fleissner um 1904

Nach Fleißner gab es bis 1890 zehn weitere Firmengründungen in der Textilbranche. Auch durch die Eisenbahn, insbesondere die Erschließung des Böhmischen Kohlereviers in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts, wurde die wirtschaftliche Entwicklung begünstigt.

 

1868 begann die Geschichte der Färberei Knab & Linhardt. Aus ihr ist der später unter der Bezeichnung Aktienfärberei allgemein bekannt gewordene Großbetrieb entstanden, dessen Spezialität die Türkischrotfärberei war. Schon in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts entstand in Münchberg die erste moderne Türkischrotfärberei Bayerns, 1951 gehörte die Aktienfärberei mit über 1.200 Mitarbeitern zu den größten Veredlungsbetrieben der Bundesrepublik. 1973 wurde der Betrieb von der Spinnerei Forchheim übernommen und schließlich 1996 die Produktion eingestellt. Nur die “Aktienvilla“ erinnert heute noch an die ruhmreichen Zeiten des Betriebes, da 2000 nach längerem Leerstand der Abriss des großen zentral gelegenen Firmenkomplexes erfolgte, nachdem in Jahr zuvor der Schlot gesprengt wurde. Danach entstand auf dem Gelände ein Einkaufszentrum rund um das Kaufland.Aktien um 1957

 

Auch die Firma Kalbskopf, die bereits 1850 als Lohnbleicherei entstanden war, etablierte sich schnell, sie wurde die erste nordostoberfränkische Großbleicherei. Riemendreherei, Eisengarnfabrikation und Bandweberei waren erfolgreiche Unternehmensbereiche. Der Export von Gummibändern, elastischem Gewebe, Rundgeflechten, Gummikabeln für Segelflugzeuge und Eisengarne erfolgte in verschiedene Länder und ließ so manche Krise überstehen. In den Firmengebäuden der früheren Kalbskopffabrik in der Kirchenlamitzer Straße profitierte der in Münchberger Band- und Gurtweberei umbenannte Betrieb vom Boom der Automobilbranche und produziert vor allem Autosicherheitsgurtbänder. Erfolgreich ist das Unternehmen darüber hinaus auch im Bereich technische Textilien. Seit 2012 bietet der neue Mehrheitseigentümer Langendorf Textil GmbH Spielraum bei für die langfristige Sicherung des Standortes Münchberg unter dem heutigen Firmennamen MBG Techbelt Innovation GmbH.Kalbskopf um 1913

 

Die 1870 gegründete Firma Stoeckel & Grimmler arbeitete im 19. Jahrhundert zunächst als Fabrikantenbetrieb im Grimmlers Haus in der Kulmbacher Straße 41, 1910 zog die Weberei in die Gartenstraße. Produktschwerpunkte waren Buntgewebe, die als Dekorationsstoffe und Möbelstoffe Verwendung fanden. In den 1990er Jahren investierte die Firma in eine teure Webereianlage im neuen Industriegebiet nahe der Autobahn. Seit 1999 entwirft man Kollektionen für Esprit, Joop!, Schöner Wohnen und Villeroy & Boch. Seit 2012 kooperiert der Betrieb mit der Firma Müller Zell.Stoeckel & Grimmler um 1932

 

1969 erfolgte die Abmeldung der Firma Schlegel, welche 1885 als älteste mechanische Weberei mit 50 Webstühlen in der Bismarckstraße 44 gegründet wurde. 1933 wurde der Betrieb vorübergehend still gelegt und 1943 für Rüstungszwecke beschlagnahmt. In den folgenden Jahren nutzten verschiedene Firmen die Räumlichkeiten bis 1954 Heinrich Schlegel wieder als Inhaber eingetragen ist.Schlegel um 1890

 

Zu einer der ältesten mechanischen Webereien der Stadt gehört die Firma Schoedel. Der 1885 mechanisierte Betrieb gehörte damals zu den modernsten der Branche. Zur Färberei und Ausrüstung kam 1925/26 ein eigenes Spinnereigebäude hinzu. Einer der ältesten Produktionsbereiche der Textilfirma Friedrich Schoedel war die Drellweberei für Matratzen und Miederstoffe und noch im ausgehenden 20. Jahrhundert war der Betrieb einziger deutscher Hersteller von unelastischen Miederstoffen. Möbel- und Matratzenbezugsstoff, seit den 1990er Jahren auch gestrickte Matratzenbezugsstoffe, waren weitere Produktionssparten. Nach dem Anschluss an die belgische Firma Bekaert Textiles endet 2008 die Geschichte der Firma in unserer Stadt, die Produktion wird ins Ausland verlegt. Seit dem stehen die dortigen Firmengebäude an der Kulmbacher Straße leer oder sind wieder teilweise an kleinere Firmen vermietet.Schoedel um 1926

 

1885 baute Carl Seyffert an der Kulmbacher Straße eine mechanische Weberei, produzierte dort zunächst karierte und gestreifte Köperwaren oder auch Hängematten. Eine Spezialität wurde später der Kett-Druck. Diese Eigenentwicklung des Münchberger Werkes erforderte besondere Sorgfalt bei der Herstellung. Verschiedene Besitzer bestimmten die Geschicke des Betriebes, der 1921 als Braunsberg und Co. AG ins Handelsregister eingetragen wurde. Seit 1988 erfolgte der Neubeginn unter der Leitung der Neuen Baumwoll-Spinnerei und es wurden hauptsächlich Buntgewebe und hochwertige Dekorations- und Edeljacquardgewebe produziert. 1996 erlangt er mit der Firmenbezeichnung Neutex Home Deco GmbH Selbständigkeit.Braunsberg um 1924

 

Im 20. Jahrhundert kamen viele weitere Textilbetriebe hinzu und gaben der Stadt ihr textiles Gesicht und vielen Menschen jahrzehntelange Arbeit.

In einem Atemzug mit dem Begriff Textilstadt Münchberg wird heute noch die Firma Atelier Goldener Schnitt GmbH & Co. KG genannt. Sie hat sich auch über die Grenzen Deutschlands hinaus einen bekannten Namen im Modeversand gemacht. Seine Anfänge hat das Unternehmen im Jahr 1924, als Margareta Wirth in der Lindenstraße 12 einen Laden für Kurz-, Weiß- und Wollwaren eröffnete. 1927 gab es unter dem Namen Gebrüder Wirth die ersten Kataloge. In den 70er Jahren legte man den Schwerpunkt auf Mode für reifere Damen. 1994 wurde ein neues Logistikzentrum am Eibenberg errichtet, von wo aus aktuell der Versand der Modeartikel erfolgt. Inzwischen ist die Firma in mehreren europäischen Ländern zu Hause und betreibt einen Online-Shop.

Im Jahr 1953 hat die das Unternehmen Frankenwälder E. Held GmbH & Co. KG seinen Anfang. Ernestine Held begann damals mit acht Mitarbeitern und fünf Nähmaschinen die Produktion von Damenblusen im alten Mulzhaus der Nützel-Bräu. Erstmalig in Deutschland bedruckte die Firma 1959 industriell Jersey im Flachdruckverfahren und diese Innovation brachte weiteren Aufschwung. 1964 errichtete man die erste eigene Fabrikationshalle in der Eibenstraße. Heute werden die Damenmode Kollektionen weltweit unter dem Label Frank Walder vertrieben.

Beim Blick in die Textilgeschichte der Stadt darf man die Schulen nicht vergessen. Bereits vor der Fachhochschule (1898 als Königlich höhere Webschule eröffnet) wurde in Folge der guten Entwicklung im Textilgewerbe 1854 die Weberschule am Klosterplatz errichtet.

Die textile Tradition der Stadt wird heute hauptsächlich durch die vielfältigen textilen Ausbildungsmöglichkeiten im Campus Münchberg der Hochschule Hof in der Textilfachschule und der Textilberufsschule weitergeführt. Die genannten Einrichtungen mit dem Staatlichen Prüfamt für das Textilgewerbe ließen hier in Münchberg ein textiles Kompetenzzentrum entstehen, das deutschlandweit seinesgleichen sucht.

Weitere Informationen zum Thema finden Sie im Band 7 zur Stadtgeschichte „Münchberg – Stadt der Textilindustrie“.


Video: Luftaufnahmen Schoedels Villa und ehemalige Schoedel Firmengebäude/ Textilstadt Münchberg

Texter, Autoren, Fotografen, Rechteinhaber oder Quellen:
Rainer Fritsch, Martina Michel, Klaus Foerster, Stadtarchiv
HMW Station: O4 Schoedels Villa (Textilstadt Münchberg und August Horch) - Adresse: Kulmbacher Straße 137